Interview mit Gemeinschaftsgründer David Schäfer

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Gemeinde und Kirche wird sich in den nächsten Jahren drastisch verändern – davon gehe ich mal stark aus. Für den Shift der Absender-Orientierung (von vorne wird etwas gepredigt, du kannst zustimmen oder eben nicht) zur Empfänger-Orientierung (Was benötigst du? Wie können wir dir helfen? Was brauchst du in deinem Leben?) brauchen wir neue Lösungen und dynamische Gemeinschaften.

David Schäfer hat in Hamburg organische Gemeinschaften gegründet. Wir haben uns bei einem Kurswochenende kennengelernt. Ich war Teilnehmer und David war Lehrer. Seitdem habe ich immer mal wieder verfolgt, was David so treibt. Neben den organischen Gemeinschaften ist noch ein Verlag vor fünf Jahren dazu gekommen. Bei David gibt es immer Bewegung.

David, welche drei Wörter beschreiben dich am besten?

Meine Freunde würden wahrscheinlich sagen, dass ich ein Netzwerker bin. Ich starte gerne Sachen. Movements sind mein Ding. Und Jesus begeistert mich!

Als wer oder was würdest du dich bezeichnen? Pastor, Gründer, Apostel? Und wie nennt sich deine Berufsbezeichnung?

Das war alles noch einfacher, als ich wirklich angestellter Pastor war. Pastor bedeutet Hirte. Das bin ich aber gar nicht. Der apostolische Bereich liegt mir stark am Herzen. Lehrer sein, Leute trainieren, versuchen Dinge zu verstehen und umzusetzen. Ich bin Angestellter in einer Missionsgesellschaft, das macht mich dann wahrscheinlich zum Missionar. Theologe passt vielleicht auch. Das habe ich studiert.

Wie sieht dein Werdegang aus, was hast du gelernt und gemacht?

Nach dem Zivildienst habe ich angefangen Elektrotechnik zu studieren. Das habe ich im ersten Semester abgebrochen. Ich habe dann eine Berufung in den vollzeitlichen Dienst erlebt. Mein Horizont war damals aber konservative Freikirche. Da war dann klar, okay ich werde Pastor. Dafür brauchte ich Theologie, studierte dann sechs Jahre lang in Hamburg, bei Berlin und in Kalifornien. Anschließend wurden meine Frau und ich Jugendpastoren.

Wie ist es dir ergangen, wie war die Zeit für dich in der Gemeinde?

In der Gemeinde habe ich viele Sachen gemacht, die mir nicht lagen. Die meisten Pastoren sind Hirten und Lehrer. Bei einem fünffältigen Test kam einige Jahre später in der Kategorie Pastor bei mir ein negativer Wert raus. Da habe ich dann verstanden, dass das nicht meine Kernbegabung ist. Das war eine Krise. Sechs Jahre Studium und dann machst du nicht das Richtige. Zwei Bücher haben mich gerettet. Zum einen die Apostelgeschichte der Bibel. Paulus gründete Gemeinden und zog oft zügig weiter. Er war sicher kein Pastor/Hirte. Ich merkte, dass es mehr gibt als nur den Hirten. Zum anderen war es das Buch „Lebensverändernde Kleingruppen“ von Neil Cole. Da geht‘s um Jüngerschaft. Darauf kommt es an.

Was hast du neben deiner persönlichen Erkenntnis noch aus der Zeit des Gemeindealltags gelernt?

Als Jugendpastor starteten wir einen wöchentlichen Abendgottesdienst für Jugendliche, der auch für Leute gestaltet war, die mit dem Glauben nichts am Hut hatten. Wir nannten ihn Flanders, angelehnt an den frommen Nachbarn von Homer Simpson. Wir kreierten eine Form von Kirche, die für unsere Leute interessant war. Dabei machten wir zwei entscheidende Fehler. Erstens hatten wir keine Ressourcen mehr, um Zeit mit Leuten zu verbringen, die Jesus am meisten vermisst. Nämlich die, die ihn noch nicht kennen – wir waren zu beschäftigt, Kirche am Laufen zu halten. Der zweite Fehler war folgender: Leute, die dazu kamen, fanden es meist gut, sahen aber nicht den Mehrwert wieder zu kommen. Sie sagten: „Warum sollte ich wiederkommen? Wozu brauche ich einen Gottesdienst, um mich mit dir über Gott zu unterhalten? Das können wir doch auch bei dir, bei mir oder in einer Kneipe“.

Mit diesem Learning in der Tasche hast du nochmal neu begonnen. Du hast organische Gemeinden gegründet. Wie ist es dazu gekommen?

Organische Gemeinde war Zeit für das Wesentliche zu haben. Mission, Gemeinschaft und Jüngerschaft. Wir haben eng mit zwei anderen Ehepaaren zusammengelebt und das Leben geteilt. Wir hatten unser Stadtviertel im Visier, wollten Menschen Gutes tun. Erstmal hat das bedeutet, wir nehmen Leute mit auf eine Reise, um uns und Gott näher kennen zu lernen, da wo wir waren. Im Gespräch mit Leuten haben wir dann gemerkt, wie wenig sprachfähig wir waren. Auf die Frage „Warum seid ihr so anders als die anderen?“ hatten wir zu Beginn keine Antwort.

Spannende Reise! Nochmal zur organischen Gemeinde selbst… Was ist das jetzt genau? Wie kann man sich das vorstellen?

Ich sage es mal in den Worten von Neil Cole: Organische Gemeinde bedeutet, die Messlatte, was es bedeutet Jünger zu sein, höher zu legen (oder dorthin, wo sie hingehört). Die Messlatte, was es bedeutet Gemeinde zu sein, niedriger. Gebäude, Gottesdienst, Gehälter, Älteste? Brauchen wir das wirklich? Die erste Gemeinde ist anfangs sogar ohne Älteste klargekommen. Heutzutage ist das Minimum einer Gemeinde ein geiler Name, eine Homepage, ein Insta-Account und Worship. Organische Gemeinde versteht das anders.

Sind organische Gemeinden die Lösung?

Am Anfang war Gemeindegründung bei mir die Lösung für ein Problem: Schulkollegen und Freunde waren nicht kompatibel mit dem bisherigen Gemeindesystem. Ich dachte dann, dass wir eine Ortsgemeinde gründen müssen, die besser passt. Das war meine Motivation. Bill Hybels sagt, die Ortsgemeinde sei die Hoffnung der Welt. Aber das ist Quatsch. Jesus selbst ist die Hoffnung der Welt, nicht die Ortsgemeinde. Wir gehen normalerweise davon aus, dass wir erst Kirche schaffen müssen, um dann Jünger zu erzeugen. Aber das ist ein Denkfehler.

Okay, du meinst also, dass wir der Gemeinde allgemein eine zu hohe Priorität zuweisen. Was ist dann unser Auftrag als Christen, wenn wir in erster Linie keine Gemeinde bauen?

Wie häufig hat Jesus von Gemeinde geredet? In Matthäus 16 und 18, zweimal also. Es gab keinen Auftrag an Petrus Gemeinde zu bauen. Es gab den Missionsbefehl, Matthäus 28. Im griechischen steht darin ein einziges aktives Befehlswort: Macht zu Jüngern! Das ist unser Auftrag! Zusammen mit dem höchsten Gebot sollen wir Gott lieben, den Nächsten lieben und Menschen zu Jüngern machen. Wenn wir das machen, folgt daraus Gemeinde. Vermutlich würde ich mich deshalb auch nicht mehr als Gemeindegründer bezeichnen.

Also machen wir etwas falsch?

Ich frage mal so: Wie verstehen wir heute unseren Auftrag? Gott lieben – passiert im Gottesdienst, Lobpreis und sowas. Mich selbst und den Nächsten lieben – passiert im Hauskreis mit anderen Christen. Menschen zu Jüngern zu machen… Wo taucht das auf? „David, davon haben wir keine Ahnung“, das haben mir wirklich Kollegen gesagt, die Pastoren sind. Wir ignorieren Jüngerschaft. Das ist der Fehler. Wenn du überlegst, was ein Jünger ist… Ein Jünger ist ein hingegebener Nachfolger Jesu, der nicht für sich selbst lebt (2.Korinther 5,15) und sein Leben für andere einsetzt und ihnen hilft, ebenso Jünger von Jesus zu werden. Was denkst du, wieviel Prozent machen das wirklich in der Gemeinde? Wer nimmt sich da noch aktiv die Zeit und weiß, wie das geht?

Hm, vielleicht fünf Prozent? Aber willst du dann jetzt die Gemeinden abschaffen?

Verbindliche Jüngerschaft. Daraus entsteht etwas. Das wird dann entweder Gemeinde sein oder andere apostolische Strukturen haben, wie z.B. ein Missionskloster. Er -Jesus- baut dann seine Gemeinde, wie er es in der Bibel sagt. Was denkst du Nathi was passieren würde, wenn Jünger andere zu Jüngern machen, die wiederum andere zu Jüngern machen? Dann haben wir ein richtiges Movement und nicht nur etwas, das sich so nennt. Wir fangen bei Kirchen an, ICF, Hillsong City Church, whatever. Das ist aber keine Problemlösung. Bei den meisten neuen Gründungen kommen ein Großteil Christen aus anderen Gemeinden dazu. Wir starten wieder mit dem „Vehikel“ Gemeinde und verpassen dann meist, Jünger zu machen. Die richtige Lösung geht anders: Wenn Jünger machen der Auftrag ist, dann fang genau damit an. Und nicht mit Gemeinde. Jesus hat’s auch so gemacht.

Brauchen wir dann gar keine Struktur mehr?

Doch, aber es gibt mehr als nur die „Ortsgemeinde“. Aktuell gibt es neben der klassischen Gemeinde aber wenig Alternativen. Apostolische Strukturen sind noch Missionsgesellschaften wie OM, YWAM oder andere. In der Kirchengeschichte gab es Klöster. Etwas Kirchliches, das keine Kirche ist. Wir verbinden mit Klöstern heute Einsamkeit und Abschottung. Früher waren das Orte des Lebens. Oft haben sich drum herum Leute angesiedelt. Wir brauchen etwas, das Leuten, die anders sind, eine Struktur gibt.

Kannst du noch etwas konkreter werden?

Ich denke über Hubs nach. Die Lufthansa hat z.B. in Frankfurt ihren Hub. Dort kommen Flugzeuge hin, werden gewartet, gepflegt, Personal trainiert. Ich denke an einen Ort, wo man zusammenlebt und lernt. Für eine bestimmte Zeit, ein Jahr vielleicht. Von dort wird man dann ausgesendet. An verschiedene geographische Orte und sozioökonomische Gruppen. Kommen – dann weiterfliegen.

Wie gehst du das an?

Ich treffe mich mit Helden oder telefoniere mit ihnen. Meine Helden sind Leute, die anders denken, nicht ins System passen. Ich verbringe Zeit mit Menschen. Es ist eigentlich simpel. Ich suche Leute, die Jünger werden wollen und solche, die es anderen zeigen können. Parallel denke ich diesen Hub-Gedanken weiter. Da gibt es auch schon ein paar Pläne, aber da könnten wir im nächsten Jahr nochmal reden.

Wie sieht dein Alltag aus, was machst du den ganzen Tag so?

Ich starte mit einer Ruhezeit in den Tag. Vor dieser Zeit schaue ich nicht auf mein Handy oder iPad. Sonst rutscht meine Aufmerksamkeit ins Tagesgeschäft. Ich habe Zeit mit Jesus, lese und lasse mich inspirieren. Ich versuche ein Buch die Woche zu lesen, meist klappt es. Das inspiriert mich, bringt mich weiter. Von da aus lese ich oft in der Bibel, denke über Verse oder Passagen nach. Aus der Ruhe heraus arbeite ich dann. Netzwerken, Schreiben, Mentoring, Organisation, Vorstandsaufgaben bei der Deutschen Inlandsmission, an Büchern im Movement Verlag arbeiten.

Verspürst du eine Art Berufung, das zu tun, was du tust?

Meine Berufung ist neue Sachen zu starten, andere in ihre Berufung hereinführen. Leute, die anders sind, sind oft auch einsam, weil sie sich in Gemeinde nicht verstanden fühlen oder frustriert mit ihr sind. Meine Aufgabe ist es, heiße Kohle für meine Helden zu sein. Wenn Leute anders sind, nicht im System funktionieren werden sie schnell frustriert. In- und außerhalb von Gemeinde. Diese Leute -apostolische Heckenschützen-, die zu finden und ihnen zu helfen, das liebe ich. Wenn die Gas geben, bewegt sich wirklich was.

Welche Rolle spielt der Verlag in deiner Arbeit? Was macht ihr da genau?

Der Movement-Verlag ist Inspiration in Buchform. Damit bringe ich Bücher raus, die meist sonst nicht von den anderen christlichen Verlagen gemacht würden, weil sie sich nicht rechnen würden. Der Verlag muss aber auch keine große Organisation dahinter finanzieren. Lieber „lean and mean“. Wir bringen Bücher für missionarisch motivierte Leute raus, um zu inspirieren und weiterzuhelfen. Das ist das, was wir im deutschsprachigen Raum brauchen.

Bist du Idealist oder Realist? Wovon träumst du konkret?

Idealist. Ich träume von Bewegung. Radikale hingegebene Jünger in Deutschland können unser Land verändern.

Was hilft dir auf deiner Reise dranzubleiben?

Die Ruhezeiten, Beziehung zu Gott, Ergriffen sein, Ausruhen. Mit gleichgesinnten Visionären in Kontakt und Austausch sein. Andere „heiße Kohlen“ anheizen.

Wer oder was inspiriert dich?

Meine Ruhezeiten inspirieren mich. Von Leuten zu lesen, von denen man was lernen kann. Auch alte Sachen. Meist Inspiration in Buchform. 

Schaust du auf andere „Bewegungen“?

Ja, alte Bewegungen. Die Kelten inspirieren mich gerade. Oder die Benediktiner. Die haben es geschafft, sodass es sie heute noch gibt und dass sie ihren Kern nicht verloren haben. Sowas haben wir bei Ortsgemeinden selten. Durch Ordensregeln wurden klösterliche Strukturen über Jahrhunderte weitergegeben.

Wenn man selbst Jüngerschaftsbewegungen gründen möchte, muss man dafür so viel Erfahrung und Vorkenntnisse haben wie du?

Null. Du musst aber bereit sein, dein ganzes Leben Jesus zur Verfügung zu stellen – Prioritäten klären. Und jemand, der dir die Richtung zeigt und dich pushed und ermutigt, ist wirklich hilfreich. Jemand, der den Weg schon gegangen ist.

Kannst du gute Bücher oder sonstige Adressen zu dem Thema empfehlen?

Klar, eigentlich alle aus dem Movement-Verlag. Ne, Scherz, aber vielleicht drei. Die sind so gut und liegen mir am Herzen, sonst hätte ich sie nicht gebracht: Wen das Thema Jüngerschaft reizt, dem empfehle ich „Ansteckende Jüngerschaft“ von David Watson. Wer lernen will, anders von Jesus zu erzählen, dem empfehle ich: „Von Jesus reden – die Kunst des Nichtevangelisierens“ von Carl Medearis. Und wer merkt, dass er eher apostolisch drauf ist, dem empfehle ich dringend: „Mehr als Ortsgemeinde“ von Sam Metcalf. Das ist das Buch, das ich am meisten verschenke (meist an neue Helden).

Alle drei bekommt man im örtlichen Buchhandel oder einfach direkt beim Verlag: www.movement-verlag.de Auf Englisch empfehle ich zum missionalen inkarnatorischen Leben gerne die Bücher von Hugh Halter. „Flesh“ finde ich richtig gut. Die Bücher von Mike Breen sind auch immer gut beim Thema Jüngerschaft. „Speak Out“ ist das letzte, das habe ich letzte Woche gelesen – fand ich gut.

Wie kann man dich erreichen, wenn man Fragen zu dem Thema Jüngerschaft und organische Gemeinschaft hat?

Auf www.organischegemeinde.de findet man mehr Gedanken zu mir, auch wenn ich in den letzten Jahren weniger gebloggt habe. Da findet man auch meine Kontaktdaten. Nur Mut, ich unterstütze gerne neue Helden!

Vielen Dank für deine Zeit und den wertvollen Austausch!

2 Kommentare

Nate

Ich bin Nate, schreibe über Gott und die Welt. Und alles was es dazwischen noch so gibt.

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