Der fliegende Traum – Die Antonov AN 225

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Wir schreiben das Datum 21. Dezember 1988. Es ist der Start des wahrscheinlich berühmtesten Flugzeugs überhaupt. Die Antonov AN 225 hebt zu ihrem Erstflug ab. 1989 stellt die Maschine 106 Gewichts-, Strecken- und Höhenweltrekorde auf. Unvorstellbar. Neben dem hat dieses Flugzeug eine unfassbare Geschichte.

Die AN 225 von vorne – Triebwerke abgedeckt – Credits: Johannes Dué On

Hallo Antonov

Aber kommen wir erstmal zur Vorstellung. Die AN 225 trägt den Spitznamen Mrija. Das heißt so viel wie Traum. Zuhause ist sie in ihrem Heimatflughafen aka Horst Hostomel in Kiew, der Ukraine. Betrieben wird sie von der gleichnamigen Fluggesellschaft Antonov Airlines. Stückzahl der Maschine: Eins.

Der Flieger ist stolze 84 Meter lang, 18 Meter hoch und hat eine Flügelspannweite von 88 Metern. Die Tragflächen haben eine Fläche von 900 qm. Damit ist sie das größte Flugzeug der Welt. Aber die zahlreichen Rekorde sprechen davon, dass diese Kennwerte nicht die einzigen kranken Zahlen dieses Fliegers sind. Sie wiegt 175 Tonnen, kann insgesamt 250 Tonnen Ladung in ihrem Bauch verschwinden lassen und ihre Tanks fassen 350 Tonnen Kerosin – wenn sie voll sind. Damit kann die Antonov mit einem Startgewicht von 640 Tonnen abheben. Shish. Zugegebenermaßen sieht sie mit ihren geteilten Leitwerken am Heck etwas speziell aus, aber das hat auch seinen Grund.

Der Bestimmungswechsel

Eigentlich wurde sie nur zu einem Zweck konstruiert. Sie sollte die russische Raumfähre Buran Huckepack von ihrem Landeplatz zum Weltraumbahnhof bringen. Richtig gelesen. Huckepack. Also eine Flugmaschine auf der anderen drauf. Das sieht schon -nunja- bewundernswert aus (Video dazu siehe unten). Die damalige UdSSR bewies damit, dass sie nicht nur in Sachen Raumfahrttechnik ganz vorne mit dabei war, sondern, dass sie ebenso gigantische Flugzeuge konstruieren konnte. Dass die ehemalige Militärmaschine bis heute im Einsatz ist, zeigt, dass die Jahrzehnte alte sowjetische Ingenieurskunst wirklich etwas auf dem Kasten hat. Sie ist heute nämlich ein gefragtes Transportflugzeug für Lasten der Superlative. Große Konzerne und weltweite Logistikunternehmen chartern sie von Zeit zu Zeit, um große Frachten zu transportieren. 250 Tonnen durch die Lüfte manövrieren zu lassen kann eben kein anderes Fluggerät. Dabei ist ihre Bugklappe mit einem Durchmesser von 6,5 Metern nicht nur für schwere, sondern auch für große Bauteile gewappnet.

Sowjet-Technik

Die Antonov AN 225 basiert konstruktiv auf ihrer kleinen Schwester, der Antonov AN 124. Schon dieses Flugzeug ist extrem. Es kann mit Fracht von bis zu 150 Tonnen beladen werden, dazu besitzt sie vier Strahltriebwerke.

Die kleine Schwester – Antonov An 124 – Credits: Johannes Dué On

Die Antonov AN 225 hingegen wird durch 6 Mantelstromtriebwerke D-18T angetrieben. Kein anderes Flugzeug der Erde ist sechsstrahlig. Jedes der Triebwerkseinheiten liefert einen Schub von 230 Kilonewton. Wahnsinn. Die AN 225 verbraucht dabei pro Flugstunde 16 Tonnen Kerosin.

Die mächtigen Triebwerke von der Seite – Credits: Johannes Dué On

Sieben Zwillingsradsätze, von denen die hinteren vier sogar lenken können, scheinen ein angemessenes Fahrwerk für dieses Flugzeug zu Verfügung zu stellen. Wie bereits erwähnt befindet sich das Leitwerk nicht einzeln in der Mitte der Maschine, sondern ist aufgeteilt auf zwei Einheiten. Die Versetzung der Leitwerke nach außen war nötig, um die Weltraumfähre Buran transportierten zu können, da es in der Mitte des Fliegers zu ungünstigen Luftverwirbelungen beim Transport der Buran kam. Die Höcker auf dem Dach der Antonov zeugen noch heute von ihrem alten Dienst. Auf diesen wurde die Buran sicher fixiert. Im Inneren der Antonov ist so gut wie alles noch analog und mechanisch. Seilwinden und Züge regeln die Steuermechanik. Die Kabel liegen offen, moderne Schaltschränke? – Fehlanzeige. Natürlich ist die Maschine auf dem Stand der aktuellen Anforderungen, dennoch sind die meisten Anzeigen analog. Selbstverständlich wird sie dauerhaft gewartet. Die tragenden Rumpfteile sind aber bis heute alle original. In ihrem Bauch lagern immer ein paar Ersatzreifen und andere Teile, die regelmäßig gewechselt werden müssen.

Das geteilte Leitwerk der Maschine – Credits: Johannes Dué On

Captain und Crew

Die Technik will beherrscht werden. Eine ganze Hand voll Technikern sind immer an Board. Sie inspizieren die Triebwerke, Fahrwerke und die Steuermechanik nach jeder Landung. Sie kennen die Maschine in und auswendig. Ihren geschulten Augen entgeht nichts. Kleinere und größere Schäden werden immer selbst behoben. Das gibt es auch bei keinem anderen Flugzeug. Aber wer bis hierhin gelesen hat, hat wahrscheinlich jetzt verstanden, dass bei diesem Flieger nichts normal ist.

Um die Antonov zu fliegen braucht es sechs Personen. Im Cockpit sitzen zwei Flugingenieure, ein Navigator, ein Funker, sowie Pilot und Copilot. Die zwölf Hände verraten schon, dass Fliegen bei dieser Maschine eben noch ein richtiges Handwerk ist. Nichts mit: „der Computer regelt schon“. Bei Antonov Airlines dürfen dieses Flugzeug auch nur genau sechs Piloten fliegen. Bei jedem Flug sind jeweils zwei Pilotenteams anwesend. Gelandet wird auch häufig auf abgelegenen Flughäfen und unter schwierigen Bedingungen. Große Kraftwerke zum Beispiel werden nun mal meist nicht in den Metropolen aus dem Boden gestampft.

Ihr Logbuch

1988 hatte sie ihren Erstflug, das haben wir schon erfahren. Geflogen ist sie dann unter ihrem ursprünglichen Konstruktionszweck für die Raumfahrttechnik bis zum Zerfall der Sowjetunion. Mit dem Zerfall wurde auch das Weltraumprogramm der UdSSR eingestampft. Die Antonov wurde 1991 dann eingemottet. Zu dieser Zeit war eigentlich geplant eine zweite Maschine zu fertigen. Auch dieses Vorhaben wurde abgebrochen. Bis heute gibt es eine unvollendete AN 225 irgendwo in einem ukrainischen Hangar. Am 7. Mai 2001 hob sie erstmals nach ihrem langen Dornröschenschlaf wieder ab. Diesmal zu einem völlig anderen Zweck, nämlich als Frachtflugzeug. Zu diesem Zweck musste sie alle nötigen Zulassungen und Versicherungen für den internationalen Luftfrachtdienst bekommen. Die Antonov wird bis heute als Transportmittel für besondere Aufgaben von der ukrainischen Antonov Airlines im Charterverkehr betrieben. Seit ihrem Erstflug 1988 bis 2012 hatte sie immerhin über 1000 Starts und Landungen hinter sich. Aber mit den 5.000 absolvierten Flugstunden ist sie noch lange nicht an den 24.000 Betriebsstunden, für die sie ausgelegt worden ist. Von 2019 bis zu diesem Jahr wurde sie über 18 Monate hinweg generalüberholt, erhielt ein neues Steuerungsprogramm für ihre sechs Triebwerke.

Das Krisenflugzeug

Nach ihrer 18-monatigen Pause flog sie am 11. April 2020 von Kiew nach Tianjin in der Volksrepublik China mit Tankstopp in der Mongolei. Dort brachte die Maschine medizinische Ausrüstung zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, die sie zuvor aus Europa abgeholt hatte. Am Dienstag, den 14. April, landete die Maschine auf dem Warsaw Chopin Airport der polnischen Hauptstadt Warschau. Dort brachte sie ungefähr sieben Millionen Masken, hunderttausende Overalls und tausende von Helmen. Good job 225!

Unter Frachtbedingungen

Wenn die große Bugklappe der AN 225 offen ist, lässt sich eine Rampe ausfahren. Zur Beladung der Maschine wird das Bugfahrwerk abgesenkt und Stützen ausgefahren. Die Maschine steht dann mit ihrem gesamten Gewicht nur noch auf ihren Stützen. Die Frachtprojekte werden meist über Monate hinweg geplant, für die Flüge gibt es dann meist enge Zeitfenster.

Die 225 mit geöffneter Bugklappe – Credits: Per Chrisitan Reithe

Die Gerüchteküche

Man erzählt in Fachkreisen, dass Antonov zeitweise eine vergrößerte und verbesserte Version der 225 mit acht Triebwerken unter dem Namen AN 325 plante. Wenn dem so war, wurden diese Pläne allerdings nie realisiert. Ende August 2016 wurden die Ohren nochmals hellhörig. Antonow gab dort laut Wikipedia bekannt, dass sie einen Kooperationsvertrag mit dem chinesischen Luftfahrtunternehmen Aerospace Industry Corporation of China (AICC) unterzeichnet haben. Dabei ging es wohl darum, die zweite Antonov AN 225 zu vollenden, zu modernisieren und an AICC auszuliefern. Danach sollte dann eine Lizenzversion der Maschine in China in Serie produziert werden. Was genau aus diesem Plan geworden ist – keine Ahnung. Aus meiner Sicht halte ich eine solche Serie als eher unwahrscheinlich.

Die kleine AN 124 von der Seite bei der Bugöffnung – Credits: Johannes Dué On

An dieser Stelle vielen Dank an Johannes Dué On. Er hat die Mehrzahl der Bilder geschossen. Er betreibt den Instagramkanal antonov.spotter. Schaut dort mal vorbei! Danke auch an Chrisitan Reithe, er hat auch eins der Bilder gemacht. Er ist ein begabter Fotograf aus Schweden. Auf Instagram findet man ihn unter projectionsbypc. Auch nicer Kanal, danke euch!


Wer noch nicht genug von diesem Giganten hat brauch sich nicht zurück zu halten. Es gibt eine Reihe geiler Dokus, die von dem Flugzeug berichten:

Die Antonov transportiert große Kraftwerksteile: Viele Insides, Länge ca. 50 Minuten.

Auch spannende Doku während einem Charterauftrag eines deutschen Logistikunternehmens. Viele Insights und spannende Szenen, 20 Minuten Länge.

Alte Aufnahmen vom Takeoff mit der Raumfähre Buran auf dem Rücken, noch in alter Lackierung.

4 Kommentare

  • Hat mir gut gefallen dein Antonov Blockbeitrag. 👌Faszinierend dieses Flugzeug…
    Weißt du noch, wie wir früher zusammen solche Dokus geschaut haben? Habe zwar keine Ahnung von Technik, aber das Drumherum fasziniert.
    Schreib mal was über archäologische Technik zB. den Pyramiden… Wolltest doch mal Archiologe werden. 😁🤗

  • Cooler Bericht. Als einer der sich immer wieder von Technik begeistern lässt (zwar kein Fliegerkenner) voll ins Schwarze getroffen. Danke.

Nate

Ich bin Nate, schreibe über Gott und die Welt. Und alles was es dazwischen noch so gibt.

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